19
Dezember
2023
|
12:12
Europe/Amsterdam

Energiereiches Duo

Zusammenfassung

Windkraft und Chemie: die eine Branche kann nicht ohne die andere. Gemeinsam beschleunigen beide die Energiewende. Dazu ein Doppelinterview mit Covestro-CEO Markus Steilemann und Peter Obling, SVP Head of Central Europe Ørsted.

Chemie und erneuerbare Energie – zwei Branchen, die auf vielfältige Weise miteinander verflochten sind. Und ohne deren Zusammenspiel eine klimaneutrale Zukunft nicht möglich ist. Was Ørsted und Covestro dafür unternehmen, darüber sprechen Peter Obling, der Europa-Chef des Energieanbieters, und Markus Steilemann als Vorstandsvorsitzender des Kunststoffherstellers und Präsident des Verbandes der Chemischen Industrie (VCI).

Bis 2050 sollen zwei Drittel der weltweiten Energieversorgung aus erneuerbaren Quellen stammen. Ein guter Teil davon aus Windkraft. Ausbauziele sind genügend da, aber der Ausbau stockt. Woran liegt das?

Peter Obling: Wir arbeiten an nichts Geringerem als an der Umstellung unserer kompletten Energieversorgung. Dass es da auch mal Rückschläge oder Verzögerungen gibt, ist nachvollziehbar. Denn die Anforderungen und die Komplexität an unsere Industrie sind enorm und wachsen insbesondere mit den neuen Ausbauzielen, wie in Deutschland, weiter. Bis 2045 sollen hier mindestens 70 Gigawatt Offshore-Wind Leistung installiert werden. Ausgehend von aktuell gerade einmal rund 8-9 Gigawatt. Es ist toll zu sehen, dass die Politik die Potentiale erkannt hat und ausbauen will – europaweit. Aber diese Schnelligkeit muss eine Industrie auch stemmen können. Wichtig ist das Vorhandensein einer robusten, großskalierten, europäische Lieferkette. Und das ist aktuell nicht in ausreichendem Maße der Fall. Die Produktionskapazitäten müssten sich mit den steigenden Investitionen in grüne Technologien eigentlich verdoppeln. Zudem kämpft auch unsere Industrie wie so viele andere mit höheren Preisen in der Materialbeschaffung. Außerdem ist das aktuelle Auktionssystem für Offshore-Windparks in Deutschland eine weitere Herausforderung.

Warum das?

Obling: Das ist aktuell sehr preisgetrieben, was zwar zu erheblichen Einnahmen für den Staat führt. Aber dieser Ansatz macht es für energieintensive Industrien und Unternehmen wie Covestro kostspieliger, auf grüne Energie umzustellen, und könnte letztlich zu einer Verlangsamung der grünen Transformation führen. Wir brauchen ehrgeizige, vorhersehbare, langfristige Strategien, bei denen die Offshore-Windenergie zu einem integralen Bestandteil eines kostengünstigen, CO2-armen und flexiblen Stromnetzes werden kann. Und das die Möglichkeit bietet, einen industriellen Wachstumspfad zu schaffen. Zum Beispiel durch die Integration von Elektrolyseuren für die Produktion von Grünem Wasserstoff, der dann in der Schifffahrt oder die Dekarbonisierung der Schwerindustrie eingesetzt werden kann.

Und wie kommt man trotzdem voran?

Obling: Wir bauen natürlich auch unter den aktuellen Bedingungen weiterhin aus. Wie gerade auch in Deutschland, wo derzeit zwei Offshore-Projekte realisiert werden. Ørsted hat als Marktführer eine erhebliche Pipeline, die wir auch dank bestehender Verträge und guter Partnerschaften mit unseren Zulieferern und Dienstleistern umsetzen können. Und es gibt glücklicherweise Lichtblicke aus der Wirtschaft, die den Ausbau mit vorantreiben: Immer mehr Unternehmen wollen klimaneutral werden und sprechen uns an, sodass wir gemeinsam Lösungen finden. Covestro ist da ein tolles Beispiel. Wir sind sehr froh, dass sich der Kunststoffersteller früh mit einem Direktvertrag Grünstrom aus einem Windpark gesichert hat, den es seinerzeit noch gar nicht gab. Das hat uns Planungssicherheit ermöglicht. Inzwischen befindet sich Borkum Riffgrund 3 in der Nordsee im Bau – als erster großer Offshore-Windpark weltweit, der mit einem Null-Cent-Gebot den Zuschlag erhalten hat.

Warum schließt sich Covestro mit Energieanbietern kurz?

Markus Steilemann: Unsere Anlagen benötigen so viel Energie wie ganze Städte. Die ist derzeit noch überwiegend fossiler Herkunft. Um bis 2035 klimaneutral zu werden, brauchen wir aber zuverlässig große Mengen an grüner Energie. Außerdem hat die Energiekrise infolge des Ukrainekrieges gezeigt, dass man tunlichst auf zukunftsfähige Quellen umstellen sollte. Das tun wir konsequent seit 2019, als Covestro mit Ørsted den damals weltgrößten Strom-Liefervertrag für Industriekunden aus Offshore-Windkraftanlagen geschlossen hat. Es ist fantastisch, jetzt zu sehen, wie in der Nordsee die ersten Fundamente der Türme gesetzt werden, aus denen wir ab 2025 dann Ökostrom beziehen. Parallel schließen wir weltweit immer mehr solcher Verträge ab, zuletzt in den USA und ebenfalls mit Ørsted. Insgesamt wollen wir Ende dieses Jahres schon bis zu 18 Prozent unseres Energiebedarfs aus erneuerbaren Quellen decken.

Nun ist die Chemiebranche in einer Doppelrolle: nicht nur Kunde, sondern auch Zulieferer der Energiewirtschaft.

Steilemann: Genau, es heißt ja immer, ohne die Chemie dreht sich kein Windrad. Das gilt auch für unsere Produkte. So besteht der Kern von Rotorblättern teils aus Holz, teils aus Kunstharzen von Covestro, die beispielsweise Carbonfasern umschließen. Das gibt so einem Rotor genau die richtige Balance zwischen Härte und Flexibilität. Damit eine Windkraftanlage auch im harschen Wetter gerade auf hoher See lange hält, ist sie mit Schutzlacken überzogen, für die wir ebenfalls die Materialien bereitstellen. Und auch für die Kabel unter der Meeresoberfläche wird unser Material eingesetzt, damit sie nicht beschädigt werden. Das alles senkt bei den Betreibern die Wartungskosten oder erhöht die Energieausbeute. Es hat also einen echten wirtschaftlichen Vorteil, gute Materialien einzusetzen.

Obling: Auch dieses Beispiel zeigt, wie eng unsere beiden Branchen miteinander verflochten sind. Ich bin sehr froh, dass diese Bande nun weiter gestärkt werden und zwar auch im energiepolitischen Kontext. So wollen wir etwa in Deutschland über unsere Verbände mit einem gemeinsamen Positionspapier helfen, den schleppenden Ausbau der Erneuerbaren voranzubringen. Diese Art von Schulterschluss sollte über viele andere Sektoren hinweg Schule machen. Es gilt, die Energiewende ganzheitlich zu sehen, Synergien zu nutzen und vor allem Industrie- und länderübergreifend zusammenzuarbeiten werden.

Die Wirtschaft also als Treiber der makroökonomischen Veränderungen?

Steilemann: Ja, wir müssen die Energiewende und letztlich die volkswirtschaftliche Transformation zu umfassender Nachhaltigkeit viel mehr im Kontext sehen und den Umbau der einzelnen Sektoren stärker koordinieren. Die Chemie zum Beispiel hat sich mit der angestrebten Klimaneutralität bis 2045 ein riesiges, sehr ehrgeiziges Programm gegeben, das aber nur aufgeht, wenn sich viele andere Räder drehen. Und der Wandel in anderen Sektoren wie Mobilität wiederum hängt auch von den Fortschritten in der Chemieindustrie und im Energiebereich ab. Und insgesamt gilt: Je mehr klimaneutrale Produkte auf Basis von Ökostrom und grünen Rohstoffen die Chemie anbietet, desto besser wird auch der ökologische Fußabdruck von unzähligen Unternehmen. Und das wiederum unterstützt den volkswirtschaftlichen Umbau Richtung Klimaneutralität und Kreislaufwirtschaft. 

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