05
Januar
2024
|
10:00
Europe/Amsterdam

Der verkannte Zwilling

Zusammenfassung

Bei Klimaschutz denken die meisten an grüne Energie. Man muss aber auch Energie viel wirksamer nutzen, etwa in Gebäuden, finden Covestro-CEO Markus Steilemann und Christian Noll von der Deutschen Unternehmensinitiative Energieeffizienz.

Lange Gesichter in Dubai. Der jüngste Klimagipfel war für viele eine Enttäuschung, weil nicht zum kompletten Ausstieg aus fossilen Brennstoffen aufgerufen wurde. Die Weltgemeinschaft hat sich aber wichtige andere Ziele gesetzt – unter anderem Energie wesentlich effizienter zu nutzen. Die globale Effizienzrate soll im Schnitt bis 2030 auf vier Prozent verdoppelt werden. Vor allem bei Gebäuden muss der Hebel angesetzt werden. Dazu ein Doppelinterview mit dem Covestro-Vorstandsvorsitzenden Markus Steilemann und Christian Noll als Geschäftsführendem Vorstand der Deutschen Unternehmensinitiative Energieeffizienz (DENEFF).

Warum müssen wir auch auf die Verbesserung der Energieeffizienz blicken, wenn wir beim Klimaschutz vorankommen wollen?

Christian Noll: Man muss sich vor Augen führen, dass fast drei Viertel des weltweiten Ausstoßes an Treibhausgasen direkt oder indirekt aus dem Energieverbrauch stammt. Um die viel zu hohen Emissionen zu senken, muss die Umstellung von Kohle, Öl und anderen fossilen Ressourcen auf erneuerbare Quellen wie Sonne und Wind massiv Fahrt aufnehmen. Aber die Welt wird nicht klimaneutral, wenn wir nicht auch die Energie wesentlich wirksamer nutzen. Energieeffizienz kann laut Internationaler Energieagentur (IEA) mehr als ein Drittel zur Minderung der energiebedingten Treibhausgasemissionen beitragen.

Dieser Aspekt stand bisher immer etwas im Schatten, wie bei einem ungleichen Zwillingspaar. Die UN-Klimakonferenz COP 28 hat die Energieeffizienz mit der geplanten Verdopplung jetzt erstmal als wesentlichen Teil des Klimaschutzes herausgestellt – ein überfälliger Paradigmenwechsel. Energie sparen und Energie grün machen: Beides muss gleichermaßen vorangetrieben werden.

Ein großer Faktor, um diesem Paradigmenwechsel Schubkraft zu verleihen, sind Gebäude.

Christian Noll: Genau. Der Betrieb von Gebäuden verursacht in Deutschland etwa 35 Prozent des Endenergieverbrauchs und rund 30 Prozent der CO₂-Emissionen. Zwar wurden in den vergangenen Jahrzehnten bei Neubauten erhebliche Effizienzfortschritte erzielt, aber es gibt im Gebäudesektor noch sehr viel zu tun, vor allem bei Millionen von Altbauten. Hier ist die Sanierungsrate mit unter 0,8 Prozent historisch niedrig.

Worauf kommt es denn an, um den Energiehunger von Gebäuden zu verringern?

Markus Steilemann: Auf die Kombination vieler verschiedener Maßnahmen. Dazu zählt insbesondere Dämmung gegen Kälte und Wärme, um Energie für Heizungen und Kühlanlagen zu sparen. Wir bei Covestro entwickeln die Zutaten für ein besonders effizientes Isoliermaterial: Polyurethan-Schaumstoff. Der hat im Vergleich zu anderen konventionellen Dämmstoffen, die beim Hausbau verwendet werden, die niedrigste Wärmeleitfähigkeit. Und was hinzukommt: Wir können die Komponenten dafür wie die Chemikalie MDI inzwischen klimaneutral herstellen. Neben guter Dämmung braucht es für energieeffiziente Gebäude aber noch sparsame Beleuchtung, digitale Haustechnik und den Einsatz grüner Energien.

Wie erreichen wir denn, dass solche Produkte und Technologien vermehrt eingesetzt werden?

Christian Noll: Insbesondere durch gute politische Impulse. Ein wichtiger Schritt in diese Richtung ist, dass sich die EU-Institutionen kürzlich auf die Richtlinie für mehr Energieeffizienz in Gebäuden geeinigt haben. Allerdings reicht der Beschluss bei Weitem nicht, um die Klimaziele der EU zu schaffen. Ich hoffe aber zumindest sehr, dass die Bundesregierung die Brüsseler Vorgaben nun für Deutschland entschlossen und ambitioniert umsetzt. Die jetzt in Kraft getretene Neuregelung des Gebäudeenergiegesetzes ist nämlich nur auf die Wärmebereitstellung fokussiert.

Es gibt ja noch eine weitere neue Vorgabe – das Energieeffizienzgesetz, das in Deutschland seit November 2023 gilt und unter anderem auf die Industrie zielt.

Christian Noll: Hierzulande entfallen allein auf die Industrie 29 Prozent des gesamten Endenergieverbrauchs. Während einige Unternehmen konsequentes Energiemanagement betreiben, besteht bei anderen noch hohes Potenzial. Viele Technologien und Ideen zur produktiveren Nutzung von Energie in Büros und Betrieben sind schon da. Konkret heißt das: In der Industrie sind Energieeinsparungen von etwa 20 Prozent erforderlich, damit Deutschland zum Erreichen der Klimaziele bis 2045 etwa die Hälfte der Endenergie wirtschaftlich einsparen kann. Und diese Einsparungen sind auch umsetzbar.

Wie ist es denn um Chemieindustrie als großem Energieverbraucher bestellt?

Markus Steilemann: Die Branche hat bisher die Produktion vom Ressourcenverbrauch entkoppeln können. Von 1990 bis 2022 wurde der spezifische Energieeinsatz halbiert, vor allem durch die Umstellung auf Kraft-Wärme-Kopplung. Aber in Zukunft wird es immer schwieriger, noch Potenziale zu heben. Zumal die Chemieindustrie in den kommenden Jahren riesige Mengen an Ökostrom braucht. Denn die Branche kann nur bis 2045 klimaneutral werden, wenn die Unternehmen möglichst viele Verfahren elektrifizieren.

Was tut Covestro in dieser Hinsicht?

Markus Steilemann: Wir streben operative Klimaneutralität bereits bis 2035 an. Dazu stellen wir zum einen die Produktion weltweit systematisch auf erneuerbare Energien um. Zum anderen drehen natürlich auch wir an der Effizienzschraube. Gemäß den bislang veröffentlichten Zahlen konnte Covestro die Energieeffizienz bis 2022 bereits um knapp 39 Prozent gegenüber dem Referenzjahr 2005 steigern. Dazu trägt vor allem ein Energieeffizienzsystem namens Structese bei, das wir schrittweise im Konzern ausrollen. Wir haben es zwar selbst entwickelt. Was aber nicht heißt, dass die Firmen und Branchen Scheuklappen aufhaben dürfen, im Gegenteil.

Es braucht auch beim entscheidenden Thema Energieeffizienz die industrieübergreifende Kooperation von Vorreiterunternehmen. Glücklicherweise gibt es in dieser Hinsicht jetzt mehr Bewegung in Deutschland. Zum Beispiel wollen Windindustrie und Chemiebranche mit einem gemeinsamen Positionspapier helfen, den schleppenden Ausbau der Erneuerbaren voranzubringen. Und auch Entsorgungswirtschaft und Chemie haben den Willen zum engeren Schulterschluss. Zusammen anpacken und Optimist bleiben – so kriegen wir die grüne Transformation hin.

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