07
Februar
2023
|
12:30
Europe/Amsterdam

Biotechnologie – Nachhaltigkeits-Treiber mit viel Potenzial

Zusammenfassung

Klein, aber oho: Mikroorganismen und Enzyme gelten als Hoffnungsträger der Industrie, besonders für die Kunststoff-Produktion. Zwei Experten nehmen im Doppel-Interview das Potenzial der weißen Biotechnologie unter die Lupe.

Written by: Stefan Mechnig

Bakterien, Pilze, tierische Zellen – in der Welt solcher Kleinstlebewesen und deren industrieller Nutzung gilt Professor Ralf Takors als einer der international führenden Köpfe. Der 56-Jährige ist Direktor des Instituts für Bioverfahrenstechnik an der Universität Stuttgart. Gernot Jäger (39) leitet als promovierter Biotechnologe das Kompetenzzentrum für Biotechnologie bei Covestro in Leverkusen. Ein gemeinsames Gespräch über das Potenzial der weißen Biotechnologie und was sie für die Industrie und ihre Produktionsverfahren so interessant macht.

 

Portraet RT_1Professor Takors, so schlimm die Corona-Pandemie ist, so segensreich hat sie sich für die Biotechnologie erwiesen. Ihr haben wir maßgeblich zu verdanken, dass so schnell wirksame Impfstoffe entwickelt werden konnten. Was hat die Biotechnologie noch alles zu bieten?

Takors: In der Tat hat die Biotechnologie die Medizin in der jüngsten Zeit weit vorangebracht. In dem angesprochenen Beispiel war es die RNA-Technologie, welche für die Impfstoffproduktion gegen Corona eingesetzt wurde. Wir sprechen hier von der „roten“ Biotechnologie, wenn sie für medizinische Zwecke eingesetzt wird. Die „grüne“ Biotechnologie wiederum wird beispielsweise in der Pflanzenzüchtung und der Lebensmittelproduktion genutzt. Und in der Industrie, etwa der Chemiebranche kommt die „weiße“ Biotechnologe zum Tragen.

Können Sie dafür ebenfalls Beispiele nennen?

Takors: Die Biotechnologie verwendet lebende Zellen, Mikroorganismen oder Teile davon, wie Enzyme, um äußerst vielfältige Produkte und Verfahren zu erzielen. So lässt sich bei Pflanzen beispielsweise der Ertrag steigern oder ihre Widerstandsfähigkeit gegen Krankheiten und Umwelteinflüsse verbessern. Zudem kann man pflanzliche Inhaltsstoffe, die wiederum für industrielle oder medizinische Zwecke verwendet werden, biotechnologisch herstellen. Ganz anders gestaltet sich die Biotechnologie in der Lebensmittelproduktion, wo sie eine lange Tradition hat. Das sehen wir etwa bei der Herstellung von Wein, Bier und Käse. Und auch beim Abbau von Laktose in Milchprodukten oder der Veredelung von Mehl für optimalen Teig. In der chemischen Industrie hat sich die Biotechnologie ebenfalls in zahlreichen unterschiedlichen Prozessen bewährt, aber es gibt noch viel Potenzial. Ich nenne mal als Erfolgsbeispiel Zitronensäure oder Glutamat, die ausschließlich biotechnologisch hergestellt werden. Oder Milchsäure, aus der bioabbaubare Verpackungen entstehen.  

Beim Stichwort Industrie denken die meisten vermutlich erstmal an große Anlagen und schwere Maschinen. Was können in solch einem Umfeld mikroskopisch kleinste Lebewesen und Enzyme bewirken?

Takors: Eine ganze Menge. Das haben mir mehr als 20 Jahre akademische und industrielle Forschung gezeigt. Die Mikroorganismen, Zellen oder Enzyme befinden sich in sogenannten Bioreaktoren, die einige Zehntausend Liter fassen können. Je nach Prozess vergärt hier beispielsweise Zucker mit Hilfe von Hefepilzen zu Ethanol, Bakterien setzen Kohlenstoffquellen zu Aminosäuren um, Enzyme spalten unerwünschte Verbindungen und so weiter. Ein wesentlicher Vorteil der Biotechnologie ist, dass all das unter milden Bedingungen möglich ist, also ohne hohe Temperaturen oder aggressive Chemikalien.

Gerade die Kunststoffproduktion ist sehr energieintensiv und hängt noch überwiegend am Öl. Was tut Covestro, um die Produktion umweltverträglicher zu machen?  

Jäger: Wir richten das ganze Unternehmen auf die Kreislaufwirtschaft aus. Sie soll zum neuen Leitprinzip in Wirtschaft und Gesellschaft werden. Für Covestro heißt das: Wir wollen langfristig weg vom Rohöl als Rohstoff. Und die Biotechnologie hilft uns, alternative Rohstoffe einzusetzen, etwa Plastikabfall oder Pflanzen. Wir machen uns hier den Jahrmillionen alten Baukasten der Natur zu eigen und nutzen diese für chemische Prozesse, die wir gemeinsam mit Partner unter anderem aus dem akademischen Bereich entwickeln.

Takors: Anwendungsorientierte Forschung im akademischen Bereich und wissenschaftsbasierte Unternehmen – das ist in meinen Augen genau die richtige Kombination. Beispielsweise in dem neuen Projekt BIOS, das neun Partner aus sechs europäischen Ländern umfasst und vom Stuttgarter Forschungszentrum Systembiologie koordiniert wird. Hier geht es um die Entwicklung biointelligenter Technologien im Zusammenspiel von Biotechnologie, Informationstechnologie einschließlich Künstlicher Intelligenz und Automatisierungstechnik. Auch die kürzlich von Covestro etablierte Nachwuchsgruppe NEnzy, die eng mit der RWTH Aachen zusammenarbeitet, folgt genau diesem Prinzip. Ich war selber mehrere Jahre bei der Evonik tätig, bevor ich den Lehrstuhl des Instituts für Bioverfahrenstechnik an der Universität Stuttgart übernahm, und kenne daher beide Welten gut. Akademie und Industrie – diesen Weg müssen wir ausbauen.

Was heißt das konkret?

Takors: Die Biotechnologie ist ein Querschnittsgebiet, in dem extrem hohe Kompetenz aus vielen Gebieten zusammenkommen muss: Mikrobiologie, Biochemie, Genetik, Ingenieurwissenschaften, und Informatik. Hierzu muss zum einen die Interdisziplinarität innerhalb der Wissenschaft selbst erhöht werden. Und zum anderen brauchen wir auch außerhalb mehr Vernetzung und strategische Allianzen – nicht nur zwischen Wissenschaft und Wirtschaft, sondern auch zwischen verschiedenen Branchen. Chemikalien, Lebens- und Futtermittel, Medikamente, Waschmittel, Papier, Textilien, erneuerbare Energien… überall spielt ja die Biotechnologie hinein.

Jäger: Und die einzelnen Firmen sollten Biotechnologie am besten von Anfang an mit in ihre Planungen und Prozesse einbeziehen. Denn die Perspektiven sind äußert vielversprechend: Die biotechnologischen Tools werden immer ausgefeilter, die Verfahren immer präziser. Und kühne Ideen müssen keine Träume bleiben. Das sehen wir auch in der eigenen Forschung und Entwicklung.

Zum Beispiel?

Jäger: Zum Beispiel unser Projekt Bio4PUR, das die Produktion der wichtigen Basischemikalie Anilin in eine neue Dimension bringen könnte. Es ist es uns nämlich geglückt, den dazu nötigen Kohlenstoff komplett aus pflanzlichen Rohstoffen zu gewinnen und auf Rohöl zu verzichten. Und zwar auch, weil wir dabei einen speziellen Mikroorganismus einsetzen. Außerdem erforschen wir, wie sich mithilfe von Enzymen das Recycling von Kunststoffabfall verbessern lässt, einer weiteren Quelle nicht-fossiler Rohstoffe.

Das klingt sehr vielversprechend, wie auch das gesamte Gebiet der weißen Biotechnologie. In einer Studie von 2021 wird für die kommenden Jahre ein hohes globales Marktwachstum vorhergesagt – im Schnitt um die 15 Prozent pro Jahr. Halten Sie so etwas für möglich?

Takors: Ich bin Ingenieur und kein Ökonom und kann mich da natürlich nicht festlegen. Aber dass die weiße Biotechnologie ein Schlüsselthema mit riesigem Potenzial ist und ein Treiber für Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft, das kann ich mit Fug und Recht behaupten. Für die Herausforderungen der kommenden Jahrzehnte werden innovative Lösungen gebraucht – sei es um die Nahrungsmittelversorgung zu gewährleisten, sei es, um die Transformation der Industrie in Richtung Kreislaufwirtschaft voranzutreiben oder unser Klima zu schützen. Der Einsatz von allen klugen Technologien in Kombination ist nötig, um diesen Herausforderungen gerecht zu werden. Und die Biotechnologie ist ein wesentlicher Schlüssel dafür.

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