02
September
2022
|
09:05
Europe/Amsterdam

Unabhängig UND nachhaltig

Der Ukraine-Krieg, die zunehmenden Spannungen zwischen China und den USA – anders als die eher regionalen Konflikte der Vergangenheit erschüttern und verändern die momentanen Krisen die ganze Welt. Auch in wirtschaftlicher Hinsicht. Seien es die Verwerfungen an den Energiemärkten wegen der wegfallenden russischen Gaslieferungen, sei es die drohende Verschärfung der Lieferengpässe bei Halbleitern infolge des Taiwan-Konflikts: Immer eindringlicher zeigt sich, wie brüchig das internationale Geflecht ist, auf dem die Weltwirtschaft gründet. Und immer deutlicher wird der strategische Wert von Gütern, die jahrzehntelang als stets verfügbare „Commodities“ betrachtet wurden.

Die Folge: Staaten und Regionen wollen sich aus Abhängigkeiten befreien und möglichst zum Selbstversorger werden. In den USA beispielsweise hat der Senat unlängst ein Gesetz zur Förderung der heimischen Chipherstellung verabschiedet. Und Deutschland vereinbart soeben mit Kanada die Belieferung mit Wasserstoff und hofft zudem auf flüssiges Erdgas von dort.

Streben nach Autonomie

Aber es geht in der globalen Mächtekonfrontation und Allianzbildung um weit mehr als fossile Rohstoffe. Auf dem Spiel steht auch der Zugang zu vielen Metallen, ohne die das moderne Leben und schon gar nicht die Transformation in eine nachhaltige und digitale Zukunft möglich sind. Besonders EU-Kommissar Thierry Breton wird dieser Tage nicht müde zu betonen, wie wichtig für Europa die Verfügbarkeit von Lithium, Nickel und Co. ist, deren Vorkommen zumeist in wenigen Ländern konzentriert sind.

In der Tat geht ohne Mineralien nichts. Kupfer brauchen wir für den Transport von in Zukunft viel mehr Strom. Nur mit Lithium sowie Kobalt und Graphit können wir Elektroautos bauen. Seltenerdmetalle sind unverzichtbar für Windkraftanlagen und Photovoltaikmodule. Der Bedarf an all diesen Materialien dürfte noch sehr stark wachsen. Ein Szenario der niederländischen Universität Leiden vom Mai sieht für 2020 bis 2050 in Europa bei Kobalt etwa einen Anstieg um 400 Prozent und bei Lithium um sage und schreibe 2.100 Prozent.

Ressourcen sichern – und schonen

Sich mehr Ressourcen sichern – das ist aber nur die halbe Miete. Ein zukunftsweisendes Konzept wird daraus erst, wenn wir auch mehr Ressourcen schonen. Dazu muss vor allem das Recycling von Rohstoffen deutlich Fahrt aufnehmen. Insgesamt ist die Welt erst zu 8,6 Prozent zirkulär. Teilweise ist man zwar schon recht gut unterwegs. So werden laut Breton in der EU beispielsweise mehr als 50 Prozent der Metalle wie Eisen, Zink oder Platin rezykliert.

In anderen Bereichen ist aber noch viel Entwicklungspotenzial. Bei Kunststoffen etwa. Ein wunderbares Material, ohne das die ersehnte grüne, smarte Zukunft ebenfalls kaum möglich ist. Ohne Kunststoffe fährt kein E-Auto, dreht sich kein Windrad, geht kein Smartphone auf Empfang. Der Nachteil: Altes Plastik wird noch viel zu wenig wiederverwertet. In der EU liegt die Recyclingquote erst bei rund einem Drittel; weltweit sind es sogar nur rund 15 Prozent. Der Plastikmüll auf den Weltmeeren spricht Bände.

Es gilt also, dringend die Entsorgungssysteme auf- und auszubauen. Und wir müssen zukunftsweisende neue Verfahren wie das chemische Recycling ankurbeln. Das sind langfristige, komplexe und schwierige Themen, die momentan ins Hintertreffen zu geraten drohen.

Aber um die Weltwirtschaft und wichtige Branchen wie Energie, IT und Chemie am Laufen zu halten, müssen wir gleichzeitig an allen Stellschrauben drehen: Autonomie fördern, mit Augenmaß, ohne Konfrontation und Blockbildung zu vertiefen, stabile Partnerschaften mit Gleichgesinnten eingehen – und mit voller Intensität an einer nachhaltigen Zukunft arbeiten, indem wir die Kreislaufwirtschaft zum globalen Leitprinzip machen.

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