27
Juni
2022
|
15:33
Europe/Amsterdam

Hindernis für die Zukunft?

Zusammenfassung

Warum Europas Eisenbahnwirrwarr nicht nur den Lieferketten der Industrie schadet, sondern auch die Klimaschutzmaßnahmen verzögert

Verfasst von: Hanno Brümmer

Panta rhei – alles fließt. Das von den griechischen Philosophen der Antike geprägte Diktum bezieht sich zwar auf den sich ständig verändernden Charakter der Welt, beschreibt aber auch einen idealen Zustand des globalen Lieferketten- und Logistiknetzes. In letzter Zeit haben wir jedoch genau das Gegenteil erlebt, denn Unterbrechungen der Waren- und Rohstoffströme stellen Unternehmen weltweit vor Probleme.

Engpässe bei Containern und Schiffsladungen sind nicht nur auf die jüngste Schließung des Hafens von Shanghai zurückzuführen, und die Situation hat sich in den letzten Jahren weltweit verschärft. Ähnlich verhält es sich mit dem Schienenverkehr: Die jüngsten Probleme kommen zu einem längerfristigen Trend hinzu, bei dem die Zuverlässigkeit und Leistung abnimmt. Ein kürzlich in der Zeitschrift Logistik heute diskutiertes Beispiel verdeutlicht, wie stark Branchen und lokale Wertschöpfungsketten von funktionierenden Schienengüterverkehrsverbindungen abhängen: Bis zu 60 Züge verkehren wöchentlich zwischen Duisburg als Endpunkt der neuen Seidenstraße in Europa und verschiedenen Zielen in China. Die Transporte führen in der Regel durch Russland und Weißrussland – aufgrund des andauernden Krieges in der Ukraine könnte es aber bald zu spürbaren Einschnitten in den Frequenzen kommen. Ein weiteres konkretes und buchstäblich greifbares Beispiel: der Übergang von der Schiene auf die Straße, der durch die vorübergehende Schließung von Bahncontainerterminals aufgrund von Überlastung während der Osterferien unterbrochen wird.

Aber nicht nur geopolitische Krisen beeinträchtigen die Güterversorgungsketten über die Schiene. Das System selbst lässt Branchen, die auf Zuverlässigkeit angewiesen sind, um ihre Lieferziele zu erreichen, pessimistisch in die Zukunft blicken. Auch ohne die Krise stößt das Schienensystem an seine Grenzen. Mit Baustellen im gesamten europäischen Schienennetz fielen in den letzten Monaten Hunderte von Zügen aus, wie das Handelsblatt berichtet. Eine Situation, die nach Ansicht von Experten andauern wird und die sich nach Einschätzung der Betreiber noch weiter verschlechtern wird, was die Logistik der Branche und die Pünktlichkeit der Lieferungen zusätzlich belastet. Beispiel Deutschland: Das Land verfügt über das größte Autobahnnetz in der Europäischen Union. Doch auch 2019 bremsen 100.000 Baustellen und 4.000 Kilometer Stau täglich den Verkehr aus.

Investitionen sind überfällig – nicht zuletzt angesichts des dringenden Bedarfs an tiefgreifenden Klimaschutzmaßnahmen. Bei unserem Streben nach einer grüneren Industrie ist dieses Ziel ohne eine vollständige Kreislaufwirtschaft nicht zu erreichen. Die Kreislaufwirtschaft geht jedoch mit einem deutlich erhöhten Logistikvolumen einher. Wenn wir eine nachhaltige Lieferkette für die Kreislaufwirtschaft aufbauen wollen, ist es der richtige Weg, einen großen Teil der recyclingfähigen Komponenten oder der wiedergewonnenen Rohstoffe auf dem Weg zur Wiederverwendung per Bahn zu befördern.

Der Wandel kommt nicht von heute auf morgen, aber er beginnt mit erheblichen Investitionen in die Schieneninfrastruktur, wie sie von der Bundesregierung geplant sind – und es wurde auch Zeit in einem Land, in dem die Investitionen in diesem Sektor europaweit an dritter Stelle stehen und nur etwa 60 Prozent des deutschen Schienennetzes elektrifiziert sind. Ein längerer baubedingter Leistungsabfall kann nicht hingenommen werden: Es braucht kluge Konzepte zur Bereitstellung von Umleitungen, Kapazitäten in verkehrsschwachen Zeiten und hocheffektive Baustellen, um die negativen Auswirkungen zu minimieren.

Auch die Debatte über den Wettbewerb muss fortgesetzt werden: Wie können wir die Effizienz und Qualität des Netzes insgesamt steigern? Wie können Regulierung und regulatorische Anreize die Qualität der Schieneninfrastruktur verbessern? Die europäische Infrastrukturpolitik muss hier endlich entschlossene Akzente setzen, um den Fluss der globalen Lieferketten in Gang zu halten. Eine leistungsfähige Infrastruktur wird der Schlüssel für die Versorgung des europäischen Marktes sein - belastbar und nachhaltig.

Kommentare (0)
Danke für Ihre Nachricht. Sie wird nach Freigabe angezeigt.